Unter dem Titel Text – Bild – Kuriositäten. Wunderbare Geschichten des Freiherrn von Münchhausen waren 2020/21 im Gleimhaus in Halberstadt Bücher und Objekte aus der Münchhausenbibliothek Zürich ausgestellt. Dankenswerterweise hat das Museumsteam von Dr. Ute Pott das in Zürich entstandene Konzept realisiert und mit diversen Begleitveranstaltungen bereichert. Das Museum war nur kurze Zeit geöffnet. Die folgende Darstellung vermittelt einen Eindruck von den Schwerpunkten der Ausstellung.
Die Ausstellungsobjekte
Die Ausstellung widmete sich dem Phänomen Münchhausen, d.h. sie zeigte die Vielfalt und Breite der sprachlichen, bildnerischen, begrifflichen und gestalterischen Formen, in denen Münchhausen eine Rolle spielt. Die Breite des Phänomens hat die Ausstellung nicht nur durch Bücher und Bilder veranschaulicht, sondern auch durch Bilderbögen, Nippes, Spielsachen, Zigarrenbauchbinden, Schlüsselanhänger, Zinnfiguren, Plakate, Schulwandbilder, welche das Motiv Münchhausen verwenden.
Historische Person und Literarische Figur
Die Ausstellung und die Begleitveranstaltungen berücksichtigten ganz besonders den Sachverhalt, dass die historische Person des Freiherr von Münchhausen und die literarische Figur des Barons von Münchhausen keineswegs identisch sind! Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen (1720-1797) muss zwar ein talentierter Erzähler von fantastischen Geschichten gewesen sein, er selber hat jedoch nichts aufgeschrieben oder drucken lassen. Er ist weder auf einer Kanonenkugel geritten, noch hat er von solch einem Kabinettstückchen erzählt. Schon zu Lebzeiten wurden ihm die höchst unwahrscheinlichen noch heute bekannten Münchhausen-Geschichten in den Mund gelegt und sogar unter seinem Namen in Druck gegeben: Die literarische Figur des Barons von Münchhausen war damit geboren!
Die Ausstellung gliederte sich in folgende Bereiche: Verbreitung und Erfolg der Geschichten, der Namensgeber Hieronymus von Münchhausen, die ersten beiden Autoren Rudolf Erich Raspe und Gottfried August Bürger, Quellen der Erzählungen, die berühmtesten Abenteuer des Barons und diente auch der Schaulust.
Münchhausen – ein Riesenerfolg
In Amerika boten bereits im Jahr 1786 fünf Verlage Erzählungen des Münchhausen an. Bis 1800 lagen ausserdem zwei deutsche, zwei französische, eine niederländische, eine schwedische und eine russische Ausgabe vor. Bis heute sind Bücher mit Geschichten des Münchhausen in mehr als 60 Sprachen erschienen. Es gibt nicht einen Münchhausen, auf den spätere Auflagen, Übersetzungen und Bearbeitungen zurückzuführen wären.
Die Verbreitung des Bestsellers zieht sich von England, Deutschland, Frankreich, Russland, Holland, Italien, Skandinavien, Spanien aus bis nach Nordamerika, später nach Japan, China und Thailand etc. Es gibt auch Ausgaben in Blindenschrift, Stenografie, Esperanto, Lateinisch, Georgisch, Jiddisch.
Im Laufe der Jahrhunderte sind zahlreiche literarische Münchhausen-Barone bzw. Lügenbarone von Schriftstellern geschaffen, von Illustratoren gezeichnet und von Erzählern geschildert worden. In Frankreich heisst die Figur neben Münchhausen Munikhouson oder Monsieur Crac bzw. Crack bzw. Krak bzw. Krack. In Südamerika ist Münchhausen der Baron Manx, in Spanien Baron Castaña. Und im Tschechischen erlebt Münchhausen seine Abenteuer unter dem Namen Baron Prášil. Der französische ist in Illustrationen oft ein dürres Männchen – der englische ein behäbiger Herr.
Der Namensgeber
Von der historischen Person des Hieronymus Freiherr von Münchhausen (1720-1797) weiss man wenig. Er stammte aus einer alten Adelsfamilie und wurde als Page standesgemäss erzogen. In jungen Jahren nahm er am russisch-türkischen Krieg teil und kehrte 1750 im Rang eines Rittmeisters nach Bodenwerder zurück. Dort lebte er als Gutsherr. Die Bücher, die unter seinem Namen erschienen, verärgerten ihn sehr. In den Münchhausen-Geschichten finden sich allerdings Spuren von Ereignissen und Gegebenheiten, die Hieronymus erlebt haben könnte.
Der Schöpfer der literarischen Figur
Rudolf Erich Raspe (1736-1794) arbeitete als königlicher Bibliothekar in Hannover, später als Kurator am Kunsthaus und als Professor der Altertümer an der Universität Kassel. Er publizierte zu Geologie, Kunst- und europäischer Kulturgeschichte, entdeckte unbekannte Schriften von Leibniz und korrespondierte mit Wissenschaftlern in Europa und Amerika. Er katalogisierte das Münz- und Medaillenkabinett des Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Kassel und die Gemmensammlung des James Tassie. Wegen eines Diebstahls floh er nach England, wo er sich als Naturforscher, Übersetzer und Bergbauexperte betätigte. Und Raspe war es, der im Winter 1785/86 die literarische Figur des Münchhausen schuf. Er bezeichnete den Ich-Erzähler im Vorwort der ersten Ausgabe präzis:
Baron Munnikhouson, or Munchausen, of Bodenweder, near Hameln on he Weser, belongs to the noble family of that name, which gave to the king’s German dominions the late prime minister, and several other public characters, equally right and illustrious (vgl. Abb. 11).
Den satirischen Charakter der Erzählungen müssen Raspes Zeitgenossen sofort verstanden haben, was sich in Rezensionen ablesen lässt. Bald jedoch wurde der aufklärerisch-kritische Gehalt als Lügen wahrgenommen. Heute sehen wir Raspe als einen Autor, der – international vernetzt – mit enormer Tatkraft und grosser Selbstverständlichkeit ins vielschichtige kulturelle, wirtschaftliche und politische Leben des 18. Jahrhunderts eingriff.
Der Sprachkünstler
Den Dichter Gottfried August Bürger (1747-1794) kennt man heute vor allem deshalb, weil er als erster Rudolf Erich Raspes englischen Münchhausen ins Deutsche übersetzt, bearbeitet, gekürzt und ergänzt hat. Er publizierte die Erzählungen anonym, weil er seinen guten Ruf als Professor nicht mit einem möglicherweise als unseriös wahrgenommenen Text aufs Spiel setzen wollte. Im 18. Jahrhundert war Bürger bekannt für seine Balladen. Er stand der Dichtervereinigung Göttinger Hainbund nahe und war zwischenzeitlich Herausgeber des Göttinger Musenalmanachs. Johann Wilhelm Ludwig Gleim befreundete sich mit dem jungen Bürger an und förderte ihn.
„Wunderbare Reisen zu Wasser und Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freiherrn von Münchhausen, wie er dieselben bei der Flasche im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählten pflegt“, so lautete der Titel der ersten Ausgabe von Bürgers Münchhausen, die 1786 erschien (vgl. Abb. 12). Aus seiner Feder stammen unter anderen die zwei bekanntesten Geschichten: Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel und die Selbstrettung aus dem Sumpf. Bürger und Raspe haben zeitweise korrespondiert, allerdings weiss man nicht, ob sie sich persönlich begegnet sind. Eine Verbindung von Bürger zu Hieronymus wird manchmal behauptet, ist aber nicht belegt.
Aus Raspes Quellen
Im Vademecum für lustige Leute erschienen 1781 sechzehn Anekdoten eines gewissen M-h-s-n, dessen Verfasser bis heute unbekannt ist. Eine Fortsetzung mit zwei weiteren Anekdoten eines M…n folgte 1783. Raspe übertrug die meisten dieser kurzen Erzählungen ins Englische und machte daraus ein zusammenhängendes Buch. Er benutzte auch Schwank-Literatur und Reiseberichte.
Drei berühmte Erzählungen
Einen Eindruck vom Wunderbaren der literarischen Figur mit ihrer ausschweifenden Phantasie vermitteln die drei folgenden Geschichten.
Das halbierte Pferd
In dieser Erzählung verfolgt Münchhausen feindliche Truppen, die sich in eine Stadt geflüchtet haben. Er kommt zu einem Brunnen, lässt sein Pferd trinken und wundert sich über dessen unstillbaren Durst. Er blickt zurück und erkennt, dass die hintere Hälfte seines Pferdes fehlt: ein Fallgitter hat das Tier in dem Moment, als es mit seinem Reiter durchs Stadttor jagte, halbiert.
Die Selbstrettung aus dem Sumpf
In dieser Erzählung will Münchhausen auf seinem Pferd über einen Sumpf springen. Das Pferd springt zu kurz, Münchhausen kehrt in der Luft um und versucht es noch einmal. Der Sprung missglückt. Pferd und Reiter sinken, aber Münchhausen zieht sich samt dem Pferd am Zopf aus dem Morast. Eine Interpretation der Erzählung: Münchhausens Zopf und die Dialektik der Aufklärung, B. Wiebel 1997
Der Ritt auf der Kanonenkugel
In dieser Erzählung soll Münchhausen eine belagerte Festung auskundschaften. Er springt auf eine abgehende Kanonenkugel und fliegt in Richtung der feindlichen Festung. Auf dem Höhepunkt der Flugbahn erkennt Münchhausen die Gefahr, bei der Landung als Spion gefangen genommen und getötet zu werden. Geistesgegenwärtig steigt er um auf eine ihm entgegenfliegende Kanonenkugel und kehrt sicher zurück zu den Seinen.
Interpretation der Erzählung: Münchhausens Kugelritt ins 20. Jahrhundert – ein Aufklärungsflug, B. Wiebel 1996
Bilder, Bilderbögen, Comics
Die Münchhausen-Geschichten, insbesondere diejenigen in der Fassung von Bürger, zeichnen sich durch ihre hohe Bildhaftigkeit aus. Es gibt Tausende von Illustrationen in Büchern, selbständige Grafik und über 40 Filme. Eine besondere Gruppe davon sind die Bilderbögen. Über deren massenhafte Verbreitung gelangt Münchhausen in die Kinderstuben –
Mehr dazu: Münchhausen – ein amoralisches Kinderbuch. Th. Gehrmann und B. Wiebel, 1996
Zur Ausstellung im Gleimhaus
Das Gleimhaus in Halberstadt zeigte die Ausstellung aus Anlass des 300. Geburtstags von Hieronymus von Münchhausen, vom 22. Dezember 2020 bis zum 25. April 2021. Wegen der Corona-Pandemie konnte die Ausstellung bis 8. März 2021 nur virtuell und erst danach auch real besucht werden.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) war ein Dichter, Literaturmäzen in der deutschen Aufklärung und stand mit vielen Persönlichkeiten in Korrespondenz. Das Gleimhaus ist eines der ältesten deutschen Literaturmuseen, eingerichtet im Jahr 1862 in Gleims ehemaligen Wohnhaus am Halberstädter Dom. Es beherbergt seinen Nachlass und zeigt wechselnde Ausstellungen zur Aufklärung. In Video-Konferenzen zu der Ausstellung fanden Münchhausen-Kenner, -Kennerinnen und Interessierte zusammen. Sie verhandelten folgende Themen:
Januar 2021 | Aufklärung und Dummheit, ein ewiges Thema – mit Dr. Reimar Lacher | |
Februar 2021 | Gottfried August Bürgers Münchhausen-Geschichten – mit Dr. Ute Pott | |
Ein Autor erzählt, u.a. von Gottfried August Bürger und seinen Münchhausen-Geschichten – mit Jürgen Westphal | ||
Kennen Sie die schon? Besondere Münchhausen-Geschichten. Erzählen oder lesen Sie uns Ihre Lieblingsgeschichte(n) | ||
März 2021 | „Ehrlich!“ Der wahre Münchhausen und sein Schöpfer Rudolf Erich Raspe – mit Dr. Andrea Linnebach | |
Erich Kästners Akzentsetzungen im Drehbuch zum Münchhausen-Film (1943) – mit Prof. Dr. Thorsten Unger | ||
April 2021 | Münchhausen! Szenische Lesung – mit Götz Lautenbach |
Parallel dazu wurden kurze Videos zu speziellen Themen veröffentlicht:
Ausstellungseröffnung | https://www.youtube.com/watch?v=8hcARKm6lzE |
Phänomen Münchhausen | https://www.youtube.com/watch?v=MLv6JVy9vas |
Zinnfiguren | https://www.youtube.com/watch?v=Y23WEDlN2TA |
Vademecum & Co. | https://www.youtube.com/watch?v=_twPEQQ-opc |
Münchhausen und die Frauen | https://www.youtube.com/watch?v=13oZv48K2p8 |